Gut oder gratis II: Neue Geschäftsmodelle für Verlagshäuser

2. Teil meiner Serie zu Gratis-Content online und offline, zu den Auswirkungen für Qualität sowie Informationsvielfalt und zu neuen Geschäftsmodellen für Medienunternehmen.

Quer durch Europa haben sich in den vergangenen Jahren neue Gratiszeitungen etabliert. Walter Braun beziffert im Bestseller vom April 2008 ihre weltweite Verbreitung auf 70 Millionen Leser pro Tag. In einem Dutzend europäischer Länder hat eine Gratiszeitung bereits die höchste Reichweite, an einsamer Spitze liegt die Schweiz.

Laut Regioprint drucken Gratismedien in Österreich bereits 600 Millionen Exemplare pro Jahr, 2000 waren es noch 145 Millionen. Zu den traditionellen Regionaltiteln kamen in den letzten Jahren die Gratistageszeitungen wie Heute, Österreich und Oberösterreichs Neue hinzu, aber auch kostenlose Magazine wie Weekend, Active Beauty und Red Bulletin. Es zeigt sich: Gratismedien werden zunehmend spezialisierter.

Walter Braun sieht im Bestseller die kostenlosen Produkte als Reaktion auf eine Marktübersättigung, durch die nun auch klassische Bezahlsegmente mit Gratistiteln abgegrast werden. Die Frage für ihn ist jedoch, wie nachhaltig sich diese Geschäftsmodelle rechnen lassen: „Bei einer spürbaren wirtschaftlichen Abschwächung könnten Bezahlmedien zumindest auf ihre Abonennten zurückgreifen, während einige Gratisblätter rasch die Kurve kratzen würden. Möglicherweise ist 2008 der Höhepunkt dieses Phänomens.“

Ganz anders sieht das Eva Dichand, Herusgeberin von Heute, im Horizont vom 2. Mai 2008 : „Wirtschaftlich gesehen werden die Gratiszeitungen diejenigen sein, die am längsten überleben, weil sie auf relativ billige Art und Weise eine vergleichsweise hohe Reichweite erreichen. Ich glaube aber nicht, dass irgendwer sein Presse-, Standard- oder Krone-Abo abbestellt, nur weil er in der Früh Heute liest.“

Also, es geht natürlich um den Faktor Kosten: Bei den traditionellen Zeitungen fällt hier die Hauszustellung stark ins Gewicht, die aber entscheidend ist, um Leser als treue Abonennten zu halten. Das erklärt auch, warum die deutschen Verlage so sensibel auf das Projekt Online Aktuell der Deutschen Post reagierten. Die kostenlose Wochenzeitung zu IT- und Web-Themen wäre im Vertrieb durch die Briefzustellung ganz einfach quersubventioniert worden. Auch die neuen Gratistageszeitungen sparen hier enorm ein, da nur eine beschränkte Anzahl von Verteilboxen mit einigen tausend Exemplaren nötig ist.

Kaufzeitungen argumentieren meist mit dem Argument Qualität, das dem Geschäftsmodell auch in Zukunft Erfolg versprechen soll: „Die Zeitung ist kein Nachrichtenmedium mehr, sondern ein Erklär-Medium. Die letzte Möglichkeit, eine Tageszeitung als Nachrichtenmedium zu führen, ist, wie es Heute macht – als kompakter Nachrichtenlieferant“, sagt Presse-Chefredakteur Michael Fleischhacker ebenfalls im Horizont vom 2. Mai 2008. Zugleich ist ihm bewusst, dass gerade die junge Generation von kostenlosen Grundinhalten ausgeht: „Wenn sich das weiter durchsetzt, kann es passieren, dass alle Kaufzeitungen zu Gratiszeitungen werden. Dann beginnt das dritte und letzte Leben der Zeitung.“

Konträr dazu die Meinung des Leipziger Professors Michael Haller: Gratiszeitungen sind für ihn ein Übergangsphänomen, das künftig durch mobile Devices abgelöst wird. Er hofft in einem Beitrag bei ORF Science, dass die überwiegend jungen Leser der kostenlosen Medien künftig auch für bezahlte Publikationen zu gewinnen sind: „Die von uns ausgewerteten Erhebungen brachten zutage, dass sich viele junge Erwachsene das Kaufen und Lesen der lokalen Abonnementszeitungen aufsparen für die Lebensphase, in der sie sich selbst etablieren und andere Orientierungsbedürfnisse entwickeln, die von den jungen Fast-food-Medien nicht gestillt werden können.“

> Das nächste Mal: Killer versus Filler Content in Web 2.0

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